Geschichten rund um einen Marathon in New York City
Laufen? Niemals! - Start in ein gesünderes Leben - aus einer Idee wird ein Projekt
Fußball, Skifahren, Tennis, das ist Sport! Damals, ja damals – es ist dreißig und mehr Jahre her – waren Läufer aus Sicht von uns richtigen Sportler eine ganz besondere Rasse. Wir haben sie belächelt und für nicht ganz normal erklärt. Wer läuft denn meist gerade aus? In Fußballerkreisen wurden sie als „Körner-Fresser“ abgetan, ja beschimpft, und dass die nicht normal sind, das versteht sich von selbst. Wer sitzt denn nach dem Training nicht im Wirtshaus und wenn, dann wird gefeiert und nicht bei einem Glas Wasser erzählt, wie man sich ganz besonders ernährt. Und die schmiedeten ausgefeilte Trainingspläne, während wir vor dem Spiel noch eine rauchen gingen.
Es war einmal, vor langer, langer Zeit. Damals, als die Knochen noch jung und die Muskeln auch ohne Dehnübungen in Ordnung waren. Aber irgendwann kam der Punkt, an dem der Körper nicht mehr so wollte. Knie-Arthroskopien müssen her! So ein Schlauch im Knie ist doch für einen Fußballer oder Skifahrer keine Sache. Leider wurde es dann doch eine, denn in der Regel kostete ein Blick ins Knie meist das Sportlerleben. Eine Zeit lang hat man es bei den alten Herren, sprich AH, noch ausgehalten, aber irgendwann, als die Bande zur ersten und zweiten Mannschaft immer mehr verblassten, war Schluss mit lustig.
Der Sport reduziert sich per se auf die Fernbedienung des Fernsehers und die Gedanken hingen immer weniger dem ehemaligen Sportlerleben nach. Immer wieder wurden die alten Geschichten, die man während der aktiven Zeit so erlebt hat, zum Besten gegeben. Je nach Alkoholpegel variierten die Versionen, verklärten zu Abenteuern, die man eigentlich nicht erlebt hat. Aber lustig war’s!
Die Faulheit wurde zur Gewohnheit und der Körper dankte es einem mit intergalaktischen Zuwächsen an Bauch und Hüften. Alle zwei Jahre wurde die Kleidergröße gewechselt und irgendwann verschwand der Gürtel der Jeans für immer unter der Wampe. Der Geist akzeptierte zunehmend diesen Zustand und die Ausreden, warum man sich nicht bewegen kann. Mir geht es doch gut, was will man mehr! Ich will meine Ruhe! Und der Job lässt mich sowieso wenig los, - an Sport ist nicht mehr zu denken. Wie habe ich das früher nur geschafft?
So ging Jahr um Jahr in die Lande, die Tablettenrationen gegen Bluthochdruck, Cholesterin und Harnsäure wurden kontinuierlich mehr und nur so war das Blutbild einigermaßen in Rand und Band zu halten. Bedenke Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst. Regelmäßig nach dem Osterfest hört man diesen Kirchenspruch und im Anschluss beginnt die 40-tägige Fastenzeit.
Ja, das wäre mal nötig! Und dann will man das lange geführte Lotterleben beenden und fasst sich die besten Vorsätze der Welt. Und es klappt anfangs einigermaßen, auch wenn es nicht leicht ist. Die Pfunde purzeln, aber in dem Moment, als man ein Ziel für erreicht erklärt, hat man wieder verloren. Und viele geben jetzt ganz auf: Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst. Wenn das die Conclusio jeglichen Lebens ist, warum soll ich mich weiter anstrengen und doch immer wieder verlieren?
Die Wenigen, die nicht aufgeben, suchen weiter nach Lösungen und prinzipiell ist es scheißegal, eine Veränderung muss her! Wieder Sport! Sport, der mit wenig Aufwand begonnen werden kann. Sport, den man zuhause oder auf der Dienstreise oder im Urlaub ausüben kann. Sport, den man auf die eigene Fitness anpasst und weiterentwickelt. Sport, der unabhängig von anderen ist. Und ganz schnell kommt man – zumindest gedanklich – auf Walking, jetzt auch noch Nordic, früher hieß das spazieren gehen, traben und laufen. Für die Umsetzung, das ist keine Frage, braucht man, wie für die meisten Dinge des Lebens, Disziplin, Durchhaltevermögen und Ehrgeiz. Dabei helfen kleine Erfolgserlebnisse und auch sie sind beim Laufen schnell zu erzielen.
Als diese Gedanken im Kopf zehnmal umgedreht waren, auf der einen Seite lockte das süße Leben, auf der anderen Seite drohten die Qualen, war Schluss mit grauer Theorie. Anno 1999, 5 Uhr früh, es ist Montag, der Wecker klingelt. Neben dem Bett liegt eine neu gekaufte Jogging-Ausrüstung. Keine Zeit um weiter nachzudenken! Unrasiert und fern der Heimat schlürfe ich noch unheimlich matt die Treppe hinunter, raus auf die Straße, und beginne einen Fuß vor den anderen zu setzten.
Der „Walking Man“ in der Leopoldstraße vor der Münchner Rückversicherung wurde Sinnbild, ja Ikone, für meine neu gestartete Läuferkarriere. Dieses Riesenmonstrum kann nicht nur umrundet werden, sondern auch durchlaufen. Die Kehrtwende zwischen den Beinen war täglich eine Wohltat, denn man wusste, jetzt geht es heim zur Dusche und zum Frühstück.
1999, zehn Wochen später: Ich sitze am Schreibtisch und kann mir kaum mehr vorstellen wie es war, ohne meine drei Kilometer vor der Arbeit überhaupt einen konstruktiven Gedanken zu fassen. Ich fühle mich fantastisch! Die Ausreden, die einen um 5 Uhr früh durch den Kopf gehen und die Begründung dafür liefern können, warum ich mich lieber im Bett umdrehe und die Augen wieder schließe, werden immer weniger. Der Walking Man wird nicht mehr durchlaufen, sondern mit einem Lächeln am Morgen begrüßt. Alle Straßenkehrer und Zeitungsausträger sind zu guten Bekannten geworden. Und die Stadt ist unglaublich, wenn sie leer ist! Besonders Weihnachten, wenn an jeder Ecke glühende Kerzen Spalier stehen.
2016: Wir kommen gerade zurück vom London Marathon. Es war super und es wurde Altersbestzeit. Obwohl, - die zwei Minuten über der angestrebten 4-Stunden-Marke haben mich schon geärgert. Aber nächstes Jahr wird’s besser!
PS: Körner (fr)esse ich noch immer nicht! Das Knie, nicht die Frisur, hält und Rücken habe ich nicht mehr. Tabletten, ja, aber weniger als die Hälfte von damals! Und das mit dem Rauchen schaffe ich auch noch ... die Ausreden sind jedoch momentan noch zu wunderbar!
Stillleben vor dem MarathonDas Marathon-Training - Der Anfang vom Ende?
Alles beginnt mit Laufen und irgendwann von der Pflicht auf die Kür umzusteigen, will heißen, sich darauf und dabei zu freuen. Das dauert und es ist keine Frage, dass man auf dem Weg dorthin etwas Disziplin braucht. Aber man wird mit Gesundheit und Fitness belohnt.
Und ab dem Zeitpunkt an dem man es regelmäßig macht, werden die Ziele ambitionierter. Immer länger werdende Läufe sind der Anfang. Irgendwann will man schneller werden. Tempoläufe müssen her! Und man erfährt sogar nebenbei was ein Fahrtspiel ist. Ist das nicht toll!
Sukzessive beginnt man das Training zu strukturieren und die von Profis inzwischen zahlreich aufgelegten Umfänge und Frequenzen zu durchleuchten und zu adaptieren. Und wenn man dann in ein sehr regelmäßiges Training hinein gewachsen ist, dann kommt man möglicherweise auf den blöden Gedanken, sich auf einen Marathon vorzubereiten.
Man geht zum Arzt und lässt sich einreden, dass der eigene Körper das schaffen kann, d.h. aus medizinischer Sicht nichts dagegen spricht. Blöd, gell! 12 Wochen, je nach Zielzeit 500 bis 1.000 Kilometer. Projektstart morgen!
Der Schmerz geht, der Erfolg bleibt! - Menschlicher Körper am Limit
Ein Marathon ist eine Qual, die einen trotz intensivstem Training an sein Limit bringt. Wenn man jedoch durchhält, die Zeit spielt dabei keine Rolle, dann haben nicht nur die Qualen ein Ende. Gut, die Schmerzen bleiben noch eine Weile, aber die Freude und Motivation darüber, dass man es geschafft hat, ist fast grenzenlos.
Und so kann man bis ins hohe Alter motiviert und leistungsfähig bleiben. Einmal jährlich einen Marathon zu bestehen ist mehr, als einen Apfel am Tag zu essen!
Leicht ist es nicht, keine Frage!
Der Kampf gegen den inneren Schweinehund zehrt und zerrt!
New York City Marathon 2009 - Die Tage in New York und der Lauf
Donnerstag, 29.10.2009
Wir schlendern in München vom Odeons- zum Marienplatz bei herrlichem Herbstwetter. Es ist erst 9 Uhr, die meisten Geschäfte haben noch zu. Aber heute interessiert sowieso nur eines: Schnell nach New York.
Aber leider wird es eben nicht so schnell gehen. Obwohl, als wir am Flughafen mit der S-Bahn angekommen sind, hatten wir noch eine Stunde bis zum Boarding. Und die war relativ kurzweilig, denn sie sind wieder gekommen. Nicht in Scharen, wie vor zwei Jahren, aber doch einige. Hellblaue Trainingsjacken und bunte Rucksäcke meist in den Farben grün-weiß-rot, Turnschuhe und immer ein Wort auf der Zunge: München begrüßt seine Italiener. Im übrigen die stärkste europäische Fraktion beim New York Marathon. Dann folgen die Franzosen und dann wir Deutschen. Natürlich waren auch unsere Landsleute unterwegs und haben sich mit Ihren Gewändern als echte Marathoner zu erkennen gegeben. Ich habe mich dann lieber mal als Raucher geoutet und war ziemlich einsam im Glaskasten der Firma Camel gestanden.
Pünktlich um 12 hebt der A340-600 der Lufthansa ab und war in gut 8 Stunden, Touchdown war 15.05 Uhr Ortszeit, in New York, JFK. Aber dann: Natürlich muss man immer noch den grünen I-94W ausfüllen. Er ist sogar neu gestaltet. Das mit ESTA wird nix mehr. Also gut, während des Fluges hat man ja Zeit dafür. Überhaupt keinen Nerv hast du dann, wenn du eh schon müde bist und noch eine geschlagene Stunde an der Immigration verbringst. Problem? Ja, viele Leute und viele Italiener und Franzosen, die der englischen Sprache in der Regel nicht so mächtig sind. Aber auch das haben wir überstanden und als wir am Laufband für die Koffer sind, hat es bereits aufgehört sich zu drehen. Also kreisen wir! Nichts wie raus.
Dass die New Yorker Taxis keine Stoßdämpfer mehr haben, dürfte sich inzwischen in manchem Rücken eingebrannt haben. Aber wenigsten können die Taxler noch Auto fahren. Bei uns gurken sie inzwischen rum wie die Anfänger. Sorry, aber das muss mal gesagt werden und gilt natürlich nur für andere und nicht die Münchner Taxifahrer. Weiter im Text. Der Stau war vorprogrammiert und so dauerte es eine Stunde, bis wir im Hotel waren. 45 Dollar und 5,50 Dollar Tunnelzoll, das sind die Kosten 2009 für die Taxifahrt JFK - Downtown Manhattan.
The New York Palace Hotel ist ganz nett, aber das Restaurant, Istana oder so ähnlich, ist sch.... Leider ist es jetzt 10 Uhr abends und wir haben nicht mehr die Kraft ein paar Schritte zu gehen. Also der gleiche Fehler wie beim letzen Mal. Unfreundliche Ober und 15 % Service-Charge. Zwei Caesars (Chicken und Shrimps), 1 Glas Wein und ein Heiniken (schon wieder vorbei mit den guten Vorsätzen?), aus der Flasche versteht sich, 108 USD. Gute Nacht!
Freitag, 30.10.2009
Das große Ereignis rückt näher, aber wir haben trotzdem toll geschlafen. Natürlich ging es ab 4 Uhr früh nur noch scheibchenweise, im Minutentakt sozusagen, aber immerhin. Ich bin dann noch mitten in der Nacht rüber zu Starbucks und der frühe Morgen war gerettet.
Aber jetzt zu den Eiern. Um 7 Uhr saßen wir bereits frisch gewaschen, gekämmt und gestriegelt im Nino's an der 46th Straße. War alles gut, aber auch hier Service Charge! Tja, kein Vertrauen mehr in die Touris. Ich verstehe das immer mehr, obwohl ich es hasse, wie die Pest.
Wir schlendern durch New York - Trump Plaza, Times Square - und langsam wird es hell und die Stadt verwandelt sich in ein Irrenhaus. Ich glaube es liegt am Alter, aber ich kann diese Hektik wirklich nicht mehr haben. Bestenfalls in Dreier-Reihen an den Ampeln stehen, permanent irgendjemandem ausweichen, - zu zweit nebeneinander ist grenzwertig. Irgendwann sind wir am Hudson und schauen hinaus und hinüber zum Start. New York ist erfüllt von Läufern und ein paar Anderen, die zur Arbeit hetzen.
Noch ein Kaffee im Starbucks und dann ging's straight ahead zum Jacob Javits Convention Center, um die Startnummern abzuholen. Hier ist schon kurz nach 10 Uhr ziemlich was los. Großzügiges Platzangebot und gute Organisation helfen, um schnell an die Startunterlagen zu kommen. Aber Monika ist immer noch ein Mann. Wir gehen zum Service-Desk und nun liegt auch eine Registrierung als Frau vor. Das eMail hat anscheinend gewirkt, aber letztendlich doch nicht geholfen. Der freundliche Geselle auf der anderen Seite des Tresens meinte nur, das wäre dann schon in Ordnung, war es aber nicht. Auch gut, nicht schön, aber auch nicht so wichtig. Und so wird Monika in der M51-Klasse starten.
Am Marathon-Markt haben wir zugeschlagen und vermutlich dürften wir nun wieder Läuferkleidung für die nächsten 10 Jahre haben. Der Sammlertrieb! Aber wer weiß, ob man an so etwas nochmals im Leben kommt. Mit dem Taxi geht es zurück ins Hotel und man merkt, dass New York im Marathon-Fieber ist. Jeder, der den Plastiksack mit Startnummer sieht, wünscht schon mal viel Glück. Irgendwie sind die Leute trainiert, die Marathonis zu motivieren. Kein Wunder, so werden wir später erfahren, ist dieser Marathon für New York ein immens wichtiger Wirtschaftsfaktor (90% Bettenbelegung, ein Traum, insbesondere in der heutigen Zeit).
13 Uhr, die Kick-off-Veranstaltung im berühmten B.B. King Club an der 42ten Straße beginnt. Thomas Wessinghage hält erneut einen Vortrag und obwohl er sich nur wenig von den Ausführungen aus 2007 unterscheidet, ist es immer wieder interessant und unterhaltsam. Nicht zu schnell angehen, New York ist einer der schwersten Marathons der Welt, Bestzeit kannst Du vergessen, so die zentralen Aussagen. Aber das wissen wir ja schon. Nachdem ich in 2007 nach 19 Meilen die Segel streichen musste, wird es für mich trotzdem eine Bestzeit werden. Wenn ich durchkomme, versteht sich.
Wir machen uns auf einen langen Weg - wollten wir uns nicht schonen? - ins südliche Manhattan, wo wir unbedingt zum Ruehl müssen. Ruehl, eine Untermarke von Abercrombie, ist nicht weit verbreitet, aber, so meine Prognose, wohl die neue, kommende Marke. Ja, ja, die Leute müssen zum Geld ausgeben animiert werden. Und wir fallen auch drauf rein. Aber nicht heute, denn das Geschäft ist nicht mehr. Also zurück mit dem Taxi. So einfach ist das aber nicht, wenn man an einer Avenue steht, deren Fahrtrichtung entgegengesetzt zum Ziel ist. Zwei Taxifahrer habe es doch tatsächlich abgelehnt, uns mitzunehmen. Wegen Reichtum sozusagen geschlossen. Einer hat sich dann erbarmt und unser Geld genommen.
Das Restaurant Docks, Seafood, wurde uns vom Concierge empfohlen und reserviert. Nur gut einen Kilometer vom Hotel entfernt sitzen wir in einem durchaus angenehmen Ambiente. Das Essen war Fisch und Fleisch. Nicht vom Inhalt, sondern von der Qualität her. Monika's Tuna war zu durchgebraten und dann wird das Zeugs halt sehr trocken. Wein, nur jeder ein Glas, also nicht die Stirn runzeln, war ok.
Das war heute wieder anstrengend, wir sind viel zu viel gelaufen. Aber in New York kommst Du eigentlich nicht aus.
Samstag, 31.10.2009
The Day before! Wir haben bis halb 6 Uhr wunderbar geschlafen, den ersten Kaffee gibt es erneut vom Starbucks. Der Latte schmeckt ja noch einigermaßen nach Kaffee, aber der Vanilla Latte, den Monika so liebt, hat nix mehr damit zu tun ;-)
Irgendwann sitzen wir im Blue Fin, einem Restaurant, das zum Westin am Times Square gehört, und verschlingen ein paar Eier. Die waren wirklich fantastisch und das Drum-herum ist es auch. Direkt am Fenster sitzt man praktisch mitten drin im Geschehen und an diesem herrlichen Platz. Die Läufer sind unterwegs zum sogenannten Friendship-Lauf. 6 Kilometer einlaufen, nur für Ausländer, die sich in ihren Landesfarben outen. Nichts für uns, diesen Patriotismus wollen wir uns nicht antun. Und laufen kommt für heute sowieso nicht in Frage, ganz egal, was die Experten sagen. Wir ruhen aus!
Na ja, wollen wir es mal aktive Erholung nennen, als wir uns zur Hausnummer 600 des Broadways aufmachen. Wir starten bei Hausnummer 1400, also tip und tap. Der größte Hollister (Broadway@Huston), den wir je in den USA gesehen haben. 4 Stockwerke, voll von feinstem Touristenkrempel. So ist es kein Wunder, wenn die Tüte immer größer wird. Bei Bloomingdales würden sie dafür den Namen Big Brown Bag haben.
Wir fahren mit dem Taxi zurück ins Hotel und beobachten am Straßenrand riesige Menschenschlangen an den Kostümgeschäften. Heute ist Halloween. Aber jetzt ist Ruhe angesagt. Aber nach gut zwei Stunden ist's genug. Auf zu Bloomingdales - das Brown Bag trägt die Aufschrift Medium! Wir kommen an einem netten Italiener vorbei und reservieren gleich mal für abends, damit die Kohlehydrat-Speicher vollends aufgefüllt werden können.
Und jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Wir bereiten für morgen alles vor. Der D-Tag wird an den Schuhen befestigt, die Kleidung bereitgelegt. Der Wetterbericht sagt für morgen früh noch Regen an, das kann ja heiter werden.
Der Italiener war gut (San Martin, 49th zwischen Lexington und 3rd Avenue), das Glas Wein auch. Jetzt wird schon sehr auf morgen hingefiebert, - es wird auch Zeit, dass es los geht.
Sonntag, 01.11.2009 - Der Lauf
Ab 4 Uhr war an schlafen nicht mehr zu denken. Den Wake-up-call hätten wir uns sparen können, aber man weiß ja nie. Heute Nacht wurde zudem auf Sommerzeit umgestellt, also war es praktisch schon 5 Uhr morgens. Noch knapp 6 Stunden bis zum Start. Runter in die Lobby, wo schon viele Läufer Nägel kauend sitzen, um Kaffee zu holen. Der war schon mal nicht schlecht.
Um 6 Uhr hat uns Nancy mit ihrem Bus gen Staten Island gezittert. Mann, war die nervös und nachdem ganz New York voller Busse ist, ging es ab und an knapp her. Aber sie macht mich nervös diese Frau, kann nicht mal den Lenker ruhig halten und hat sich auch noch bedankt, wenn die noch stehenden Busfahrer ihre Tür schlossen, damit Nancy besser vorbeizittern konnte. Gutmenschen nennt man diese Leute wohl, - ich hätte die eher zusammengeschi..en.
Das Wetter ist bewölkt und wie angekündigt regnet es leicht und immer wieder. Als wir an der Verrazano Bridge ankommen ist Stau, die Busse müssen eingereiht werden. Das ist gut, denn wir können trotz des verhangenen Himmels die Skyline von Manhattan bestens ausmachen. Dort ist unser Ziel - Mensch ist das weit weg ;-) Das ist aber auch schlecht, wenn man unbedingt zum P.... muss. Der Kaffee drückt und ich war schon davor auszusteigen, als die nervöse Nancy ganz ruhig darauf hinweist, dass hinten im Bus eine Toilette ist. Ich liebe sie, die Nancy!
Es ist das gleiche tolle Gefühl wie vor zwei Jahren, als uns die Helfer mit einem herzlichen und lautstarken "Welcome to the New York City Marathon" begrüßen. Man kommt sich fast vor wie ein Profi, aber da dürften gut zwei Stunden Laufzeit dazwischen liegen.
Die Wiesen sind nass und innerhalb kurzer Zeit haben die Menschenmassen Matsch daraus gemacht. Wir platzieren uns an einer Straße und harren der Dinge auf unseren mitgebrachten Sitzkissen. Die Regenschirme, die wir uns gekauft haben, haben wir Gott sei Dank nicht mehr gebraucht.
Eine Stunde vor unserem Start geben wir unsere Säcke mit Kleidung am UPS-Truck ab. Nachdem ich ja eigentlich eine andere Startgruppe habe, ist das schon mal ein organisatorisches Problem. Zwei UPS'ler gefragt, zwei unterschiedliche Aussagen. Ich habe dann meinen Plastikbeutel in den von der Monika gepackt und schon war's gut. In der Hoffnung, dass ich meine Kleidung am Ziel wieder bekomme, auch ohne dass Monika dabei ist, habe ich mir mal ihre Startummer auf einem 20-Dollar-Schein notiert.
Warme Sachen bleiben bei diesem Wetter selbstverständlich bis zum Start am Körper, aber man muss sie halt dann wegschmeißen. Und so haben die Leute Kleidung an, die noch Tage vorher als Malerkleidung osä. fungierten. Sieht manchmal ganz lustig aus. Und dann gibt es die Harten, die schon in der kurzen Hose und im Läufer-Shirt Stunden vorher umhergeistern und deren Haut im wahrsten Sinne des Wortes der einer gerupften Gans ähnelt. Meistens Italiener, versteht sich!
Tausende Dixie-Klos, Zelte, die schon voll sind und Menschen, Menschen, soweit das Auge reicht. 42.000 Teilnehmer warten auf den Start, der heuer in sogenannten Wellen (Waves) erfolgt. Ich starte mit Monika in der blauen Gruppe, Welle 3, Scheune, respektive Startblock F. Die Leute sind noch gut drauf. Das wird sich spätestens nach 30 Kilometer ändern, bei den meisten jedenfalls.
Eine halbe Stunde vor dem Start machen wir uns auf den Weg zu unserer Scheune, der Amerikaner bezeichnet es als Corral, was wohl zutreffender ist, denn es ist nichts anderes, als ein eingezäunter Bereich mit menschlichen Tieren.
10.20 Uhr: Peng! Aber bis zur Startlinie ist's noch ein paar hundert Meter. Es geht langsam voran und irgendwann wird aus dem Gestöpsel dann ein Lauf. Wir überqueren die Startlinie und das GPS wird gedrückt. Man will ja wissen, wie viel man denn in Summe läuft. Aber vor allen Dingen die Pace ist interessant. Also nicht zu schnell angehen.
Die Verrazano Narrows Bridge hat dann gleich mal eine gewaltige Steigung. Was macht der Körper, er bewegt sich durchaus motiviert vorwärts. Nicht schneller werden, auch wenn es ginge. Langsam angehen, man hat noch genug Zeit, das Letzte aus seinem Körper rauszuholen. Also Step by Step und die Kulisse genießen. Die Leute kreischen (noch) und sind gut drauf. Es ist einfach herrlich! In Brooklyn die Steigerung. Bands spielen tolle Musik, - von HardRock bis Gospel alles dabei. Menschenmassen am Straßenrand trotz des nicht so guten Wetters, - es hat so um die 10 Grad Celsius.
Nach 3 Meilen (und dann jede Meile) die erste Getränkestation: Wasser und Gatorade. Wasser tut's, ein paar kleine Schlucke. Und weiter geht's. Die Kraft treibt mich an, ich bin eigentlich gut drauf, muss mich aber immer wieder zurück nehmen. Die ersten 5 Kilometer knapp über 30 Minuten. Das ist eigentlich zu schnell (für mein Alter), aber man kann fast nichts machen, denn das Adrenalin treibt einen stetig voran. Bei Kilometer 15 merke ich die ersten Verschleißerscheinungen, aber nichts Ernsthaftes, so dass auch die nächste Brücke bei Kilometer 21 locker gemeistert wird. Ich bleibe bei meinem 30 Minuten-plusX-Schnitt auf die 5 Kilometer. Bei Kilometer 25 beginnen leichte Schmerzen in den Oberschenkeln und ich befürchte, dass ich zu schnell angegangen bin. Ich schließe mich nun der Pace-Frau an, die ein Schild mit 4 Stunden 30 hochhält. Sie motiviert die Mitreisenden mit lautstarker Anfeuerung und Vorträgen über Atmung und Laufverhalten. Selbst bei krassen Steigungen hört sie nicht auf. Interessant! Und ich halte noch locker mit. Aber nachdem ich mich meiner damaligen Ausstiegsmarke von 19 Meilen nähere, kommt schon ein wenig die Angst auf.
Jetzt kommt der Mann mit dem Hammer, wie die Marathoner alle wissen. Ab Kilometer 30 wird's ernst. Die Oberschenkel schmerzen nicht mehr, sie beginnen zu brennen. Noch 12 Kilometer, ich denke zurück an das Training. Das dürfte doch ein Klacks sein. Ist es auch, aber nicht, wenn man vorher schon 30 in den Beinen hat. Die Anfeuerungsrufe am Straßenrand nehmen kein Ende. Die 1st Avenue auch nicht und so wird ein "You are looking good" immer mehr zum Ärgernis. Halt doch mal deine Klappe! Ich weiß, dass ich nicht mehr gut aussehe. Ich beginne ab Kilometer 35 statisch zu laufen. Einen Schritt vor dem anderen. Ausgefeilte Technik - an nichts mehr denkend - nur noch ankommen. Es geht noch voran. 2 Kilometer vor dem Ziel wird mir schlecht. Ich könnte kotzen, - aber es käme eh nur Wasser, vielleicht ein bisschen gelbes Gatorade, also lasse ich es bleiben. 800 Meter vor dem Ziel: Eigentlich nur noch 2 Stadion-Runden, - ich könnte mich hinlegen und schlafen. "You're almost there" - Leck mich am A.... Es wird nochmals hügelig, aber jetzt ist's auch schon egal. Nur der Wille zählt, ich zieh' das durch. Das Ziel in greifbarer Nähe, nur noch ein paar Meter. Reiß die Hände hoch, damit das Zielfoto auch was wird. Ist mir jetzt auch egal - der letzte Schritt! I did it! Wahnsinniges Gefühl, fast stärker wie der Schmerz und die Erschöpfung. Und dann ist alles vorbei, es wird subjektiv ruhig!
Die Medaille ist hässlich, aber meine Alufolie tut gut. Mir ist trotzdem kalt. Aber für ein Photo reicht's noch. Und dann anstellen bis zum UPS-Truck. Gott sei Dank bekommt man etwas zu essen und zu trinken, das richtet mich einigermaßen wieder auf. Am Wegesrand ein paar Mageninhalte und die Sanis betreuen den Ein- oder die Andere.
20 Minuten später bin ich am UPS-Truck. Natürlich gab's Ärger. Dann wollte er mir gleich das Gepäck von Monika mitgeben. Aber gut, ich war dann froh, als ich lange Hosen und eine warme Jacke anhatte. Nur noch raus aus dem Central Park. Und an der sogenannten Reunion Area habe ich mir gleich mal eine Zigarette gegönnt. Die Leute waren nicht böse, sondern lächelten einem alten Süchtling mitleidig entgegen. No more sport today!
Als ich rund eine Meile bis zur sogenannten Tavern on the green gegangen bin, hatte ich tatsächlich das Glück, ein Taxi zu finden. Monika hat leider Pech gehabt und musste bis zum Hotel laufen (1 Stunde und 15 Minuten brauchte sie vom Zieleinlauf bis zum Hotel). Die Arme! Aber wir haben es geschafft und sind stolz. Es war ein einzigartiges Erlebnis. Kritik ist jedoch angebracht: Nachdem 7.000 Teilnehmer mehr als in 2007 am Start waren, hat sich das bei dem neu konzipierten Wellenstart nicht groß bemerkbar gemacht. Aber auf der Piste waren einfach zu viele Läufer unterwegs. Es war zu eng auf den Straßen! Macht nicht den Fehler, dass der Kommerz diese einzigartige Laufveranstaltung zu Grunde richtet. Es wäre schade!
Wir haben geschlafen wie die Murmeltiere. Ein einzigartiger Tag, der uns noch in manchen Träumen verfolgen wird, geht zu Ende.
Keep on running!